Diagnostik
Während beim schweren Schädel-Hirn-Trauma (Gehirnerschütterung) eine umfassende Erstversorgung – aufgrund eindeutiger Diagnostik – die Regel darstellt, lässt sich das leichte Schädel-Hirn-Trauma nur erschwert eindeutig diagnostizieren. Häufig wird es bagatellisiert, da strukturelle Veränderungen selbst durch ein MRT oder CT nicht erkennbar sind.
Leichte Schädel-Hirn-Traumen werden daher oftmals nicht erkannt und somit auch nicht entsprechend therapiert. Dies hat zur Folge, dass die Betroffenen häufig zu schnell wieder in den Trainings- und Wettkampfprozess integriert werden. Dabei dominieren zahlenmäßig die leichten Schädel-Hirn-Traumen im Vergleich zu mittleren oder schweren.
Eine Diagnostik bei einem Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma kann in unterschiedlichsten Situationen und unter verschiedensten Bedingungen durchgeführt werden. In vielen Risikosportarten wird eine Baseline erhoben, um im Verdachtsfall die aktuellen Messwerte mit den Ruhewerten abgleichen zu können (Baseline-Tests). Bei Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma werden als erstes auf dem Spielfeld bzw. an der Seitenlinie (Sideline-Tests) und später in einem akuten Fall in der Klinik diverse Tests durchgeführt. Aber auch in der Therapie werden Tests durchgeführt, um den Genesungsprozess zu dokumentieren und um zum richtigen Zeitpunkt die nächsten Schritte der Therapie sowie zum Return-to-Play einzuleiten.
Baseline-Tests
Der symptomfreie Sportler wird in der Vorbereitungsphase einer Saison einem neuropsychologischem Test unter Ruhe- bzw. Laborbedingungen unterzogen. Wird nun ein Schädel-Hirn-Trauma (Gehirnerschütterung) vermutet, kann der selbe Test unter gleichen Bedingungen (Ruhe, Labor) wiederholt und mit den Ergebnissen des symptomfreien Tests verglichen werden. Die Erhebung von Basisdaten ist bei Risikosportarten international etabliert.
Es gibt bislang keine Evidenz dafür, dass Baseline-Messungen das Outcome (Ergebnis) nach einem Schädel-Hirn-Trauma verbessern (McCrory et al., 2013; Schmidt et al., 2012; Echemendia et al., 2012; Broglio & Puetz, 2008; Moser et al., 2011; Randolph, 2011; Moser, Schatz & Lichtenstein, 2015).
Sideline-Tests
Sportler mit Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma müssen ärztlich beurteilt werden. Sie sind unbedingt aus dem Spiel zu nehmen, sollen überwacht und nicht am gleichen Tag wieder eingesetzt werden. (Gänsslen et al., 2016)
Am Spielfeldrand kann mittels des Pocket Recognition Tools (Pocketcard) eine erste Beurteilung erfolgen. Dieses umfasst die Beurteilung objektiver Zeichen und die subjektive Symptomatik sowie die Orientierung zu Person und Ort. Der Zeitaufwand beträgt maximal 1 min.
Pocket Card (PDF, 2MB, Datei ist nicht barrierefrei)
Pocketcard
Quelle: Concussion in Sport Group
Pocketcard
Quelle: Concussion in Sport Group
Diagnostik in der Klinik (Akutdiagnostik)
Der diagnostische Umfang hängt von der schwere des Schädel-Hirn-Traumas ab. In jedem Fall sollten jedoch folgende Punkte erhoben werden:
Patientengeschichte
- Unfallhergang
- Symptome
- Symptomverlauf
Körperliche Untersuchung
- Neurologischer Status (Motorik, Sensibilität, Reflexe, Sprache, Augen, Kognition)
- Feststellung begleitender Verletzungen
- sehr hilfreich kann die Bestimmung eines Blutwertes (S-100b) sein, da bei Unterschreitung eines Grenzwerts die Wahrscheinlichkeit einer Hirnverletzung als sehr gering eingestuft werden kann
Bei einem leichten SHT sind die folgenden diagnostischen Maßnahmen optional, bei mittleren und schweren SHT sollten diese durchgeführt werden:
Bildgebung:
- CT (Schädel-CT: Craniale Computertomographie: Darstellung von Strukturen des Kopfes)
- MRT (Darstellung von Strukturen der Gewebe und Organe)
- fMRT (Darstellung von physiologischen Funktionen)
- EEG (Messung der Hirnströme)
- Neurosonographie (Ultraschallmessung: Darstellung von Gefäßverletzungen außerhalb des Schädelknochens)
Diagnostik in der Therapie
Zur Diagnostik in der Therapie können momentan keine gesicherten Aussagen getroffen werden. Es können die diagnostischen Tools der Baseline-Untersuchung genutzt werden, es können zudem auch Tools aus der Akutdiagnostik in Betracht kommen. Hier spielt auch immer die Kosten-Nutzen-Relation eine sehr große Rolle sowie die Verfügbarkeit der entsprechenden diagnostischen Instrumentarien wie bspw. MRT, CT usw.
In Anlehnung an die Phasen des Return-to-Competition nach einer vorderen Kreuzband-Ruptur oder einer Verletzung des Sprunggelenks müssen für die Therapie nach einem Schädel-Hirn-Trauma die folgenden Phasen bzw. Zeitpunkte mit entsprechenden Tests definiert werden.
- Return-to-Activity
- Return-to-Sports
- Return-to-Play
- Return-to-Competition
Beispiele
An dieser Stelle stehen exemplarisch drei Beispiele aus der Praxis:
Algorithmus für praxisgerechte Diagnostik und Therapie
Die VBG und das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) haben bereits 2016 beim 13. Symposium Hochleistungssport in Berlin einen „Algorithmus für praxisgerechte Diagnostik und Therapie bei Schädel-Hirn-Traumen im Sport“ vorgestellt. Dieser Algorithmus stellt eine erste Handlungshilfe für Akteure im Sport dar.
Algorithmus zur praxisgerechten Diagnostik und Therapie bei Schädel-Hirn-Traumen im Sport (PDF, 440KB, Datei ist nicht barrierefrei)
Algorithmus zur praxisgerechten Diagnostik und Therapie bei Schädel-Hirn-Trauma im Sport
Quelle: VBG
Brain-Check der BG-Kliniken
Sollte eine Schädel-Hirn-Trauma-Symptomatik länger als vier Wochen bestehen, ist eine Vorstellung in einem geeigneten ambulanten Zentrum zur Durchführung eines sogenannten Brain Checks zu empfehlen. Die BG-Kliniken bieten bspw. das Programm “Brain Check“ an, welches die Möglichkeit weiterführender und differenzierender Diagnostik bietet. Als Beispiel ist hier die Information des Unfallkrankenhauses Berlin (ukb) zu finden:
Brain Check (PDF, 452KB, Datei ist nicht barrierefrei)
Brain Check
Quelle: UKB Berlin
TestApp der Hannelore Kohl Stiftung
GET - Gehirn Erschüttert? Test-App
Durch einfach anzuwendende Tests unterstützt diese App Sportler, Trainer, Physiotherapeuten, Betreuer, Lehrer und Eltern bei der Früherkennung von Gehirnerschütterungen im Sport und bietet Informationen rund um die Problematik. Innerhalb von wenigen Minuten kann die Möglichkeit einer Gehirnerschütterung ermittelt werden mittels:
- Symptomerfassung
- Gedächtnistest
- Reaktionstest
- Testung der Augenfunktion
- Gleichgewichtstest.
Durch das Anlegen einer Baseline können für die Testung im Notfall individuelle Vergleichswerte gespeichert werden.
Diese App ist noch im Entwicklungs- und Teststadium, das Ergebnis einer wissenschaftlichen Evaluation ist noch offen.